Diese Predigt hat Pastor Christian Gauer am 1.11.2009 in der Wichern-Kirche zu Lübeck Moisling anlässlich des ersten Männergottedienstes gehalten:
Predigt
Der Friede Gottes sei mit Euch allen!
Ich möchte Euch bitten einen Streichholz aus der Schachtel zu nehmen und ihn gleich, wenn ich es sage zu entzünden. Versucht ihn dann so lange wie möglich am Brennen zu halten, denn jede Sekunde ist kostbar. In der Zeit nämlich, in der der Streichholz zwischen Euren Fingern brennt, möchte ich Euch bitten, eine einzige Frage still und in Gedanken zu beantworten. Seid Ihr alle bereit? Die Frage lautet:
Wer ist oder war mein Vater für mich? – jetzt entzünden
War es ein klarer, ein eindeutiger Gedanke oder waren es mehrere?
Habt Ihr sofort gewusst, was Eure Antwort ist?
Vielleicht war es auch ein Feuerwerk von vielen kleinen Bruchstücken oder ein Stochern im Nebel oder schlicht der Gedanke:
„Himmel, darüber habe ich so noch nie nachgedacht.“
Was auch immer in dieser kurzen Zeit durch Euren Kopf ging:
es war wichtig und richtig. Gleich ob wir uns an unseren Vater erinnern können oder gerade seine Abwesenheit ebenfalls Gedanken und Gefühle freigesetzt hat. Gleich ob man seinen Vater von Angesicht zu Angesicht kennt oder nicht.
Könnten wir Gott fragen, was er bei jedem einzelnen von uns gehört und gesehen hat, dann würde er uns von der ganzen Bandbreite von Vater- Sohn- Beziehungen erzählen:
Von Strenge und Kränkungen, von Überforderungen und Ablehnung von Unwissenheit bis hin zur anderen Seite: vom Vorbild, der Zuwendung und der Zuneigung. Alles ist dabei, wenn wir an unsere Väter denken.
Vater!
Als sein die Bilder und Gedanken nicht schon vielfältig genug, tauchen da noch die anderen auf. Denn neben dem leiblichen Vater gibt es natürlich auch noch andere Väter.
Die Großväter, manchmal sogar Urgroßväter, den Stiefvater, und manchmal ein oder auch mehrere Schwiegerväter, den Ziehvater genauso wie den Doktorvater, den Adoptivvater wie auch den Übervater.
Wer ist oder war mein Vater für mich?
Es ist nur eine kleine, eine eigentlich unscheinbare Frage.
Aber sie hat es in sich.
Als ich vor einiger Zeit in einem Kreis diese Frage stellte, war sie für manche der Anfang einer ganzen Kette von Gedanken und Einsichten. Männer erzählten, dass sie monatelang mit dieser Frage herumgegangen sein und sich plötzlich Neues zeigte:
„Jetzt erst“, sagten einige, verstehe ich, warum ich so bin wie ich bin.“
oder
„Jetzt geht mir auf, warum mein Leben diese Wendung genommen hat.“
oder einfach:
„Darüber muss ich muss mal mit meinem Vater sprechen.“
Überall, wo wir uns diese Frage stellen, werden wir ihnen wieder begegnen, unseren Vätern. Überall dort verstehen wir mehr von uns selbst, weil wir ein Stück von ihnen sind, unserer leiblichen wie auch unserer anderen Väter.
Wenn uns dies aber geschieht wird uns unweigerlich eine andere Frage begegnen. Sie lautet:
Was aber eigentlich bedeutet das denn – Mann zu sein? Was heisst es männlich zu sein, so dass wir es von unseren wunderbaren Müttern unterscheiden können?
Erinnern wir uns an den Rhythmus, der hier und der dort von Euch wiedergegeben wurde. Erinnern wir uns, dass jeder von Euch genau das getan hat, was Peter uns vorgegeben hat. Alle gleichzeitig: Ihr dort so! Ihr dort so! Ihr so! Einer gibt die Richtung an, die Geschwindigkeit, den Rhythmus. Lasst es uns noch einmal versuchen…..
Einer gibt die Richtung an, die Geschwindigkeit, den Rhythmus.
Wer wo mit wem, was genau. Das ist für mich wie ein Gleichnis, denn so erlebe ich uns Männer.
Wir schätzen genaue Ansagen und klare Linien:
„Ihr macht dies, ihr macht das.“
Wir sind eher als Frauen für das Setzen von Grenzen und Regeln zuständig nach dem Motto:
„Bis hierhin und nicht weiter!“
Wir weisen auch schon mal in die Schranken. Im Betrieb genauso, wie in der Familie oder auf dem Sportplatz, auch wenn es nicht immer klappt. Alles soll seine Ordnung haben; am besten meine Eigene.
Natürlich gilt dies auch in seinen negativen Auswirkungen, wie mit der schrecklichen früher gemachten Ansage: „Hör schon auf. Ein Indianer kennt kein Schmerz.“ Schon nämlich war klar, dass unseren Tränen unbarmherzig der Gar ausgemacht wurde – mit einem einzigen Satz.
Die Auflistung sinnvoller, guter Grenzen und Regeln ist beliebig erweiterbar und jeder von uns kennt ihre Macht und ihre Stärke. Von den Artikeln unseres Grundgesetzes bis hin zum Autobahnschild. „Vorsicht: Hier wird nur 100 gefahren und keinen Deut schneller!“
Dies galt und gilt zu allen Zeiten.
Auch als Abraham von Gott berufen wird aus dem Land auszuziehen, sind die Gesetze und Regeln der Rahmen, indem er sich sicher bewegen kann. Seine Stellung und sein Ruf in der Umgebung sind fest gefügt und geben Abraham einen sicheren Raum mit sichtbaren und unsichtbaren Grenzen.
Solche Rahmen zu setzen, diese Gesetze zu leben ist ein Teil männlicher Vorstellung vom gemeinsamen Miteinander. Doch das ist nicht alles.
Denn wir bitten Euch nun zum „Rhythmuskurs für Fortgeschrittene“, nachdem wir ja nun den „Anfängerkurs“ mit Bravour bestanden haben.
Wenn wir noch einmal wie vorhin unseren Rhythmus gefunden haben und deutlich und laut anschlagen, bitten wir Euch um Folgendes.
Gebt noch einmal Euren Rhythmus wider und behaltet diesen egal was geschieht – dann steht auf – mit Eurem Rhythmus. Die eine Hälfte von Euch geht dann so heraus aus den Bänken, die andere so herum. Geht hinter dieser Wand entlang, so dass ihr auf der anderen Seite wieder herauskommt. Alles immer noch und laut mit Eurem Rhythmus und dann setzt Euch wieder. Aber nicht auf Eure ursprünglichen Platz, sondern auf einen ganz anderen. Je weiter weg vom ursprünglichen Platz desto besser – alles immer noch mit Eurem Ryhthmus. Ab jetzt!
Die Männer gehen mit ihrem Rhythmus umher und suchen sich einen neuen Sitzplatz in der Kirche.
So muss es Abraham ergangen sein, als er das neue, gelobte Land erreichte, das ihm Gott geschenkt hatte.
Zwar waren sie immer noch da: Die alten Gesetze und Regeln, das alte Selbstbewusstsein, seine Kraft und seine alte Stärke, die Abraham ausmachten – und doch war einiges anders. Die alte Ordnung hörte sich anders an. Ähnlich wie wir es nun gemeinsam erleben, in dem nicht mehr der vertraute Ort, der alte Platz um Euch herum zählt.
Zwar haben die meisten von Euch Ihren Rhythmus nicht verlassen, aber jetzt ist er eingebettet in einer neuen Umgebung. Ihr habt Euch aufgemacht mit dem alten Rhythmus im Gepäck zu einem neuen Ort. Auf den ersten Blick und das erste Hören scheint es ein wenig chaotisch. Doch dann nach einer kurzen Zeit des Ankommens?
Ein neuer Blick auf die Männer, die Euch umgeben, ist entstanden. Immer noch dieselben Leute und trotzdem anders. Jetzt habt Ihr vielleicht noch andere Gesichter gesehen, die ihr vorher nicht sehen konntet. Ein kleiner Gruß ein Kopfnicken und Erkennen.
Ein neuer Blick auf unsere Kirche, Wege und Winkel, die sonst im Verborgenen geblieben wären. Immer noch derselbe Rhythmus, doch seltsam durcheinander …
— das ist nichts anderes als unser Leben. So merken wir hier im Kleinen ganz spielerisch, wie wir mit starren Grenzen und Regeln auch ganz anders umgehen können, wenn wir ums im Laufe unseres Lebens auf den Weg machen, auf zu neuen Ufern.
Der Apostel Paulus hat genau diese Erfahrung einst auf den Punkt gebracht als er schrieb:
„Als Kind dachte ich wie ein Kind und handelte wie ein Kind,
aber als ich ein Mann war, dachte ich wie ein Mann und handelte wie ein Mann.“
Die alten Regeln gelten immer noch: die 10 Gebote, Richtiggeschwindigkeiten auf der Autobahn, Haus- Sport und Schulregeln. Es gelten immer noch die Worte unserer Väter.
Und doch verändert es sich irgendwann. Spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem wir merken, dass wir jeden Tag neu die Chance haben unser Leben ein Stück selbst gestalten zu dürfen.
Und wo das geschieht, müssen wir unsere Grenzen, Schranken und Regeln verändern. — Die Worte unserer Väter entfernen sich und werden leiser.
Immer noch gilt weiterhin für jeden das sechste Gebot, dass ich nicht die Ehe brechen soll. Doch – um heute auch einmal eine sehr kompetente Frau zu zitieren, nämlich die neu ernannte Vorsitzende unserer Kirche, Bischöfin Käsmann; sie sagt: „Es ist nicht jedem das Geschenk einer lebenslangen Ehe gegeben.“ –
und sie selbst ist geschieden.
Immer noch gilt, dass ein rot umrandetes Schild auf der Autobahn mit einer 100 in der Mitte genau auch dies bedeutet. Doch kann man auch diese Regel verschieben, wenn man bereit ist, mit den Konsequenzen zu leben. Mit den finanziellen genauso wie mit den gesundheitlichen.
Je älter wir werden, desto mehr können erleben wir, dass Ausnahmen die Regeln bestätigen und dass Männlichkeit sich auch daran orientieren kann, wo ich Spielräume für mich entdecke und sie nutze. Spielräume, in denen ich selbst merke, wo ich Grenzen und Regeln verschieben kann und will.
Gestern erst haben wir uns am Reformationstag daran erinnert, wie ein Mann allein, die halbe Welt des Glaubens aus den Angeln gehoben hat. Mit den alten Geboten und Regeln im Rücken hat er sich auf gemacht und ist über die alten gezogenen Grenzen geschritten. Hat sich gegen Papst und Kaiser gestellt. Manchmal frage ich mich, was Gott dem guten Luther am Reformationstag des Jahres 1517 morgens in den Kaffee getan hat, dass er derartig mutig wurde.
Auch wenn im Laufe unseres Lebens die Stimmen unserer Väter leiser werden oder ganz verstummen, auch wenn wir sie dann wieder vermissen, von denen wir uns vorher hin und wieder distanziert haben, bleibt ein Vater in all unserem Suchen und Finden stets an unserer Seite.
Abraham wie auch Luther haben genau das gewusst. Abraham wurde deswegen sogar „Vater des Glaubens“ genannt: denn an unserer Seite bleibt stets Gott-Vater!
ER schickt uns nicht nur jeden Morgen in einen neuen Tag als Arbeitssuchende oder Überarbeitete, als Verliebte oder Getrennte, als Trauernde oder wenn wir unserem eigenen Sterben langsam in die Augen sehen müssen. Er leitet uns, um die Kraft zu spüren nach dem Hinfallen wieder aufzustehen, um zu kämpfen, zu lieben und zu beten. Er bleibt uns in all dem, was uns ausmacht zur Seite.
Er ist es, der uns seinen Sohn unseren Bruder zur Seite stellt, der uns erinnert: Mein Vater im Himmel stellt eure Füße auf weitem Raum. Er will, dass ihr ihn betretet und erkundet. Dass ihr euch in ihm bewährt und dass ihr bewahrt, was euch anvertraut ist, gleich wo ihr euren Mann stehen müsst.
Hier und jetzt sagt Gott zu jedem einzelnen von uns:
Ich schuf Euch als Mann und Frau.
Ich schuf Euch unterschiedlich und wertvoll.
Drum Männer! Entdeckt die Kraft und die Würde,
die ich Euch verliehen habe.
Mit den Grenzen und gegen die Grenzen,
die euch gezeigt habe.
Ihr seid meine Söhne
– daran habe ich Wohlgefallen,
ich – Euer Vater im Himmel
So bitte ich Euch zum Schluss noch einmal einen Streichholz aus der Schachtel zu nehmen. Ihn in die Hand zu nehmen und so langer er gleich zwischen Euren Fingern brennen wird, die eine Frage im stillen für Euch zu beantworten, nämlich die Frage:
Wer bin ich?
Amen
Auch heute noch ein Knaller diese Predigt.
Danke dafür P. Gauer